Sprung ins kalte Wasser
"Sprung ins kalte Wasser"
Entwurf und Ausführung: 8 Mädchen der Malschule in der Hamburger Kunsthalle unter Anleitung von Hildegund Schuster, Hamburg. 1995
Treppe Gr. Elbstr. 210-212 (zwischen Halle XII und XIII)
Sponsoring: Claudia Bonnen, Museums Dienst Hamburg, R&S Baugesellschaft
Foto: Hildegund Schuster
Das vierte Gemälde der FrauenFreiluftGalerie ist mittlerweile ersetzt worden (siehe Mädchen in Sicht). Es ist eine künstlerische Kooperation der besonderen Art: Es wurde gestaltet von der siebenköpfigen Mädchengruppe der Malschule in der Hamburger Kunsthalle, in Kooperation mit dem Museums Dienst Hamburg unter Anleitung der Malerin Hildegund Schuster aus Hamburg.
Die Projekt-Idee: eine Erkundungsreise im Hafen zu möglichen Berufsfeldern für junge Frauen unternehmen. Ziel war, zwei der bedeutendsten, die Hafenarbeitswelt seit der Gründerzeit im 19. Jahrhundert prägenden Betriebe, die Schiffswerft Blohm + Voss GmbH und die HHLA, Hamburger Hafen und Logistik AG, kennenzulernen und ihr Angebot an Ausbildungsplätzen für junge Schulabgänger/innen.
Das hieß für die meisten der ca. 15- bis 17-Jährigen, Erfahrungen in unbekanntem Terrain mitten in der eigenen Stadt machen, um das Berufsfeld Arbeit im Hamburger Hafen auszuloten.
Die Projektleiterin Hildegund Schuster, bekannt für innovative Projekte, welche künstlerische Aktion mit gesellschaftlichem Anliegen verbinden, knüpfte die Kontakt: Das war der Start für den Sprung über die Elbe. Fotoapparat und Notizblock waren bei der Recherche dabei, die Ergebnisse sollten ja der Stoff sein für ein gemeinsames Wandbild.
Diese Mädchen haben mitgemalt: Ayse Celik, Johanna Lemke, Ricarda Petersen, Mascha Strunk, Johanna Schwering, Britta Schröder, Rebecca Sello, Sarah Voss.
Ein Ort für das Gemälde war bereits gefunden: mitten im Fischmarktgelände zwischen Halle XII und XIII, an einer der zahlreichen Treppenanlagen, welche das am Nördlichen Elbufer gelegene Gewerbegebiet an der Großen Elbstraße mit den oberhalb liegenden Wohnquartieren von Altona verbindet. Die dreiläufige Treppenanlage mit ihren Backsteinwänden bot einen idealen Rahmen: beim Auf- und Abstieg öffneten sich die Augen für eine Thematik jenseits konventioneller Hafennostalgie.
"Nixe im Blaumann"
Foto: Hildegund Schuster
Der forsche Sprung aus dem Stadtgebiet über die Elbe hinein ins unbekannte Revier ist mit einer großen Mädchen-Figur im Blaumann und feuerroter Bluse dargestellt. Schwungvoll durchstößt sie mit Siebenmeilenschritt die Mauer, quasi die gängigen Vorbehalte der Gesellschaft gegenüber Frauen in Hafenbetrieben zu Fall bringend. Von der Elbe her grüßt zur Ermutigung eine Nixe, ebenfalls im Blaumann, aus der entkorkten Flaschenpost.
"Wir würden Sie ja gerne einstellen, aber unsere sanitären Anlagen�".
Zustand 2011 - Foto: Elisabeth von Dücker
Nach dem gelungenen Sprung in den Hafen schildern die Bildszenen zur Rechten die Recherche-Erlebnisse der jungen Frauen. Auf der Mauer rechts vor dem Treppenaufstieg: die Ouvertüre. Sie erzählt vom Vorurteil, auf welches damals Frauen mit Interesse an Arbeit in sog, Männerberufen stießen und wie sie abgewehrt wurden: "Wir würden Sie ja gerne einstellen, aber unsere sanitären Anlagen...", so ist in der Sprechblase eines Hafenarbeiters zu lesen. Er ist im Gespräch mit der recherchierenden Schülerin dargestellt. Im Hintergrund der comichaften Szene: die Spinde mit den damals verbreiteten Pin-ups. Ein Schock: damit hatten die Schülerinnen nicht gerechnet, und es war klar: das muss aufs Bild. Ebenso Äußerungen wie "zieh doch mal einen Rock an".
Treppauf folgen Momente des Arbeitsalltags mit einem Blick in die Holzwerkstatt: An großen Maschinen wird mit Staubmaske gearbeitet. Daneben eine amüsante, von den Mädchen ausgedachte Szene, in der an einer Ständersäge hölzerne Buchstaben ausgesägt werden quasi als Material für die Wortstreifen des Wandgemäldes.
Im Bildvordergrund ein Stillleben der Arbeitspause mit Thermoskanne und Obst. Diese reale Situation wird verknüpft mit einem ironischen Arrangement in der gegenüberliegenden Ecke: einem langen, von der Decke bis zum Boden hängenden Fischernetz als souveräner Kommentar einer jungen Frauengeneration, die feststellen muss, wie viel Seemannsgarn hier gesponnen wird.
Wie in allen anderen Gemälden der FrauenFreiluftGalerie auch, bildet hier der Wortstreifen Subtexte zum Bild. Zugleich gliedert er die einzelnen Szenen. Zu lesen ist da: Vorurteil, Liebe, Ausbildung, Solidarität, weltoffen, Träume, Schicht, Freude.
Wind und Wetter haben dem Wandgemälde bös zugesetzt; ebenso Schmierereien von "Narrenhand". Eine Restaurierung wird es bei diesem Bild nicht geben. Denn seit der Entstehungszeit im Jahr 1995 hat sich viel verändert in Sachen Gleichstellung am Arbeitsplatz: nicht zuletzt dank der Frauenbewegung hierzulande und die dadurch bewirkten Veränderungen in individuellen und gesellschaftlichen Haltungen sowie in gesetzlichen Bestimmungen im nationalen und europäischen Rahmen.
Zu tun ist jedoch noch viel, wie eine aktuelle Studie nachweist: "Drei von vier Unternehmen haben Gleichstellung nicht zum ausdrücklichen Unternehmensziel erklärt. 80 Prozent der Firmen stellen nur ungenügende Mittel für die Gleichstellung zur Verfügung. Dies ist das Ergebnis einer weltweiten Umfrage".(1)
© Elisabeth von Dücker, 2011
(1) Newsletter der Bundesinitiative zur Gleichstellung von Frauen in der Wirtschaft vom April 2010. Hier nachzulesen >>