Frauen in Fischindustrie und am Fischmarkt, 2015
"Frauen in Fischindustrie und am Fischmarkt"
Große Elbstraße 264 - 268, Runde Stützmauer.
Entwurf und Realisation: Hildegund Schuster, Cecilia Herrero.
Kuratorin: Elisabeth von Dücker. Sponsoring: Bezirk Altona.
Foto: Hildegund Schuster ©
Ein beschwingtes Fest am sonnigen Nachmittag des 28. August vor dem neuen Wandgemälde der FrauenFreiluftGalerie Hamburg: Etwa 150 Gäste hatten sich vor dem 400 qm großen Bild „Frauen in der Fischverarbeitung und am Fischmarkt“ am westlichen Ende des Fischmarkts zum Feiern eingefunden. Viele auch von jenen, die mit ihren Interviews zu den „lebendigen Quellen“ des Bildes zählen und Einblick in ihre persönliche Arbeitsgeschichte gewährt hatten.
Unter ihnen auch Frauen, welche mit der ersten „Gastarbeiter“-
Generation aus den mittelmeerischen Ländern wie der Türkei nach Deutschland gekommen waren und hier in Altona als angeworbene Fischarbeiterin ihr Geld verdienten. Ebenso einige Firmen-Chefinnen,
Beschriftungsschild
Elisabeth von Dücker interviewt Marina
beim Hering einlegen. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Als ein erfreulicher und bislang kaum bekannter Befund war bei den Recherchen der Kuratorin zutage gekommen: Der Fischmarkt wird „weiblicher“. Und es ist zunehmend die Töchtergeneration der Firmenchefs, welche die traditionell patriarchale Leitungskonstruktion abzulösen im Begriff ist. Konkret bedeutet das: die weibliche Job-Qualifikation steigt, das Arbeitsklima gestaltet sich positiver, das konventionelle Bild der Männerdomäne Fischmarkt scheint zu bröseln, ein weiterer Etappenschritt zum gesellschaftlichen Ziel der Geschlechtergerechtigkeit.
Und damit zieht diese lokale Entwicklung mit der in der bundesdeutschen Wirtschaft gleich: Jeder fünfte Mittelstandsbetrieb in Deutschland wird von einer Frau geleitet, so die Untersuchungsergebnisse einer im Juli 2015 veröffentlichten Studie.(1)
Am traditionsreichen Ort des Fischmarktes am Fuße des Elbbergs visualisiert das neue Gemälde zum einen den Wandel der sich im Zuge der Industrialisierung verändernden Bedeutung des lokalen Wirtschaftsfaktors Fisch. Zum anderen lässt es die noch stark handwerklich geprägte und häufig von Frauen ausgeübte Arbeit in der Fischindustrie sichtbar werden.
Maria beim Rollmops drehen. 2013.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Die Berufstätigkeiten von Frauen am Fischmarkt sind vielfältig: im Fisch-Groß- und Einzelhandel als Juniorchefin oder Geschäftsführerin, in der Fischmanufaktur als Fischarbeiterin, Braterin oder Rollmopsdreherin, als Expeditionsleiterin, als Bürokauffrau oder im Verkauf, in der Gastronomie als Restaurant-Chefin oder im Service, auch als Amtsveterinärin und schließlich auch als Referentin der sich für gute Arbeitsbedingungen einsetzenden Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten - wer hätte erwartet, dass im häufig als „Männerdomäne“ wahrgenommenen Hafen Frauen in solchem Umfang den Betrieb am Laufen halten bzw. mitbestimmen?
Hamide zeigt Fotos aus ihrer Zeit als
Fischarbeiterin 1975 in Altona. 2015.
Foto: Reinhardt Reimer ©
Trotz zunehmender Verbesserung und Erleichterung gilt die Tätigkeit im produzierenden Bereich der Fischverarbeitung in den alten Fischmarkt-Gemäuern, und gerade im Winter, als schwer: viel Handarbeit, Arbeitszeiten oft ab Mitternacht bei Raumtemperaturen von bis zu ca. + 2 Grad, „aufgeeiste“ Fische(2), langes Stehen, klamme Finger, kalte Füße und oft als schmutzig empfundene Arbeit – Stichwort: Schleim oder Blut, wie beim Schlachten von Aalen. Mancherorts sind Arbeitsräume feucht, nass, zugig wegen der Wärmeempfindlichkeit der Rohware. „Nässe, Kälte und Nachtarbeit in den Betrieben sind unbillige Bedingungen“, fasst die Veterinärin am Fischmarkt zusammen.(3)
Gesamtansicht. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Das neue Gemälde ist von den Künstlerinnen Hildegund Schuster, Hamburg, und Cecilia Herrero, Argentinien, gemalt, entworfen von Hildegund Schuster. Installiert ist das Bild am Westteil des Fischmarkts auf einer Rotklinkermauer mit ca. 400 qm Umfang und einer Höhe von zwischen 5 bis 11 m. Siebzehn kreisrunde Tondi (Durchm. ca. 2,50 bis 1 m), vier lange Streifen mit gemalten Begriffen aus der fischmarktspezifischen Arbeitswelt und Interviewzitaten (ca. 4 bis 12 m) sowie acht ca. drei Meter lange Fische: Kabeljau, Makrele, Meerforelle sowie, als einziger Süßwasserfisch in diesem Schwarm, der Wolfsbarsch, alle gemalt von Cecilia Herrero.
Wortstreifen, Ausschnitt. 2015.
Foto: arigrafie.de ©
Auf den Tondi dargestellt ist Frauenarbeit heute am Fischmarkt sowie verschiedene Tätigkeiten von Fischarbeiterinnen in historischer Zeit - die Motive reichen bis in die 1890er Jahre. Sie orientieren sich an fotografischen Vorlagen. Diese übersetzte Hildegund Schuster in Malerei, die sie in einer realistischen Formsprache vorträgt, angelegt in grau-weißer Tönung. Eine dunkelrote Linie akzentuiert Raum, Figuren und Arbeitsprozess.
Ausschnitt: Großer Tondo:
Fisch in Dosen einlegen. 2015.
Foto: Klaus Schlegel ©
Hier wird deutlich, wie viele Arbeitsgänge in der Fischindustrie bis zurück in die Zeit um 1900 bis heute noch Fertigung von weiblicher Hand sind - einige Beispiele: wickeln der Rollmöpse, schlachten von Aalen, Fische zum Räuchern aufziehen auf Metall-Spieße, sog. Spitten, und anschließend die fertige Räucherware wieder abziehen und verpacken, einlegen von Fischen in Dosen oder Fässern, Fische braten, Soßen nach firmeneigener Rezeptur ansetzen und manuell rühren, Salate herstellen und vieles mehr.
Ummahan vor Entwürfen des Gemäldes
bei der Einweihungsfeier. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Das künstlerisch-dokumentarische Vorgehen, das macht den besonderen Charakter des open-Air-Projektes insgesamt aus. Erfahrungsberichte aus dem Arbeitsleben sind der Stoff auch für dieses Bild. Seine Basis sind neben historischen Bild- und Textquellen berufsbiografische Interviews aus dem Jahre 2015. Insgesamt 25 Frauen schilderten ihre Tätigkeit, ihre Rolle in einem hafenbezogenen Berufsfeld, ihre Haltung zur sog. Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, ihre Wünsche an ein befriedigendes Berufsfeld.(4)
Cecilia Herrero im „Gartenatelier“
der Seemannsmission. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Die farbig angelegten Szenen gestaltete Cecilia Herrero. Auf vier Tondi fasste sie die Porträts aus unterschiedlichen Betriebsbereichen wie Verarbeitung, Organisation oder leitende Tätigkeit zusammen. Die pulsierende Farbigkeit ihrer Palette kann zum einen als Referenz auf eine ihrer künstlerischen Wurzeln in der mexikanischen Wandmalerei gelesen werden. Zum anderen verleiht sie den Figuren eine lebhafte, „sprechende“ Präsenz, passend zu einer zentralen Intention der Freiluftgalerie, dem spurensuchenden Sichtbarmachen.(5)
Abriss des alten Fischbildes bei
Hummer Pedersen.2013.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Die Malerei ist nicht direkt auf die Rotklinkerwand aufgetragen, das war eine Bedingung der Privatbesitzer des Ensembles Elbbergcamus, sondern auf Kunststoff-Alu-Platten(6).
Nach eineinhalb Jahren Vorbereitung - Interviews, wissenschaftliche Recherchen, Finanz-Akquise – gestaltete sich die Wandsuche im Fischmarktbereich zum hürdenreichen Bittsteller-Parcours. In der sprichwörtlich letzten Minute kam die Zusage: Die Backsteinmauer an der Westseite des Fischmarktes, eisenbahnhistorisch eine „Altonensie“ besonderer Art, denn sie bildet die mit schwungvoller Kurvatur gestaltete Stützmauer der ersten Eisenbahnbrücke Norddeutschlands. Und sie ist Teil der frühen Fischwirtschaftsgeschichte, sie überwölbt nämlich nahe des Tunnelmunds die ehemalige sog. „Schellfischbahn“, welche die fischindustriellen Betriebe mit dem Altonaer Bahnhof verband.(7)
Das aktuell jüngste Wandbild der open air-Galerie am Elbufer ersetzt und aktualisiert seine Vorgängerin von 1994. Dieses erste Gemälde der Freiluftgalerie hatte 2014 dem Umbau des Gebäude von Fa. Hummer Petersen am östlichen Eingang zum Fischmarkt zu weichen, siehe
Hildegund Schuster im „Kelleratelier“,
Seemannsmission. 2015
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Als Atelier der Künstlerinnen hatte dankenswerter Weise ein Kellerraum und der Garten der Seemannsmission Altona gedient, wie bereits beim vorigen Wandbild „Frauenarbeit im Hafen von New York und Hamburg - ein Brückenschlag“.
Lesung von Ulrike Johannson. 2015.
Foto: arigrafie.de ©
Eine Referenz an die „Vielstimmigkeit“ dieses Gemäldes war die im Rahmen der Einweihung von der Schauspielerin Ulrike Johannson vorgetragene Lesung „rund um die Fische“. Als eine Textcollage reflektierte die Lesung Sichtweisen der in unterschiedlichen Arbeitsbereichen am Fischmarkt tätigen Frauen verschiedenster Generationen, Nationalitäten und sozialen Zusammenhängen.(8)
Männer-Domäne Hafen - handelt es sich um Mythos oder Realität?
Zwei aktuelle Zahlen vorab: „Von etwa 800 Beschäftigten im Hamburger Fischereihafenareal sind im Jahr 2015 bei der Fischmarkt Hamburg-Altona GmbH gut die Hälfte Frauen“(9).
Eine Art vorläufig erstes Fazit sei gezogen zum Thema fischindustrielle Arbeitsbereiche am Fischmarkt und zwar vorerst aus der Sicht von hier beschäftigten Frauen: „Der Fischmarkt ist - leider - fast nur eine Männerwirtschaft“, so die Großhandelskauffrau und Firmenchefin, die mit zwanzig 1987 beruflich in ihres Vaters Fußstapfen treten „musste“. Und die Chefin einer seit vier Generationen am Fischmarkt ansässigen Firma bilanziert: „Als Frau ist es nicht einfach, ist ja eine Männerdomäne hier, aber die Frauen spinnen die Fäden im Hintergrund“. Aus „Gründen der Tradition als Familienbetrieb“ hat sie ihren Geburtsnamen auch als Ehenamen beibehalten – hätte das den Urgroßvater gefreut? Und eine Bürokauffrau in einem Fischfeinkost-Betrieb am Fischmarkt und einzige Frau in der Firma stellt fest: „Heute stehen die Frauen hier ihren Mann“.
© Elisabeth von Dücker, 2015
(1) Die wirtschaftliche Bedeutung frauengeführter mittelständischer Unternehmen ist beträchtlich – aber nach wie vor sind Chefinnen im deutschen Mittelstand unterrepräsentiert. Zu diesem zentralen Ergebnis kommt eine aktuelle Auswertung von KfW Research auf Basis des KfW-Mittelstandspanels. Pressemitteilung vom 28.07.2015 / KfW-Konzern
(2) Aufeisen bedeutet Splittereis auf den Fisch schütten.
(3) Dr. A. Höfer, Amtsveterinärin Bezirksamt Altona (Interview E. von Dücker, 26.05.2015).
(4) Die mittels eines standartisierten Fragebogens und Tonband Interviewten stammen aus Deutschland: 17, aus Europa: 6, z.B. Portugal, Türkei, Ukraine.
(5) Beim Malen der Wort- und Interviewstreifen waren Annika Meier und Katharina Moll als handwerkliche Assistenz tätig. 2012 hatten sie als Schülerinnen am Mädchenwandbild zu Berufsperspektiven junger Frauen im Hafen „Mädchen in Sicht - Zukunft im Hafen“ teilgenommen
(6) Sog. Neobondplatten
(7) vgl. Elisabeth von Dücker „Die Altonaer Hafenbahn. Wo Fische durch den Tunnel fahren“, in: Hg. Kulturbehörde Hamburg, „Kiek mol. Stadtteilrundgänge“, Hamburg 1998, S. 301-305.
(8) Die Texte basierten auf den von der Kuratorin geführten Interviews, das Arrangement besorgte die Schauspielerin.
(9) Auskunft von deren Geschäftsführer Matthias Funk, 25.09.2015.
Bildergalerie
1. Recherche und Interviews | 2. Entwürfe | 3. Beim Malen | 4. Transport und Montage | 5. Einweihung |
6. Aus der Nähe betrachtet
1. Recherche und Interviews
Elisabeth von Dücker interviewt Tetyana, Firma Wilhelm Goedeken. 2015. Foto: Hildegund Schuster ©
Nazli und Marina bei der Fischverarbeitung. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Elisabeth von Dücker interviewt Nazli. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Im Fischmarkt um 6 Uhr. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
2. Entwürfe
Entwurfsbesprechung vor Ort. 2015.
Foto: Kostja Bogatyrev ©
Erster Entwurf. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Hildegund Schuster bei Entwurfsentwicklung. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Hildegund Schuster und Cecilia Herrero im Kelleratelier, Seemannsmission. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
3. Beim Malen
Hildegund Schuster. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Cecilia Herrero. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Wortstreifen im Atelier. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Blick ins Kelleratelier. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Fotodokumentation im Atelier. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Besuch im Atelier von Fiete Sturm und Annemarie Hovingh. 2015. - Foto: Günter Zint ©
Hildegund Schuster. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Cecilia Herrero. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Katharina Moll malt Wortstreifen. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Annika Meier malt Interviewstreifen. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Malerinnen im Garten. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
4. Transport und Montage
Fiete Sturm und Cecilia Herrero beim Fischtransport. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Fischverladung. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Transport bei Wind und Wetter. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Tondi vor der Montage. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Die Montage beginnt. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Montage mit Hubsteiger. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
Tondi erste Hälfte. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Der Fisch wird um die Kurve gebogen. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Pause mit Fischbrötchen. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
5. Einweihung
Die Gäste rollen an. 2015. - Foto: Hildegund Schuster ©
Einladung zur Vernissage
Festredner Kersten Albers, stellv. Bezirksamtsleiter Altona. 2015.
Foto: arigrafie.de ©
Ansprache Michaela Rosenberger, 1. Vorsitzende der NGG.
2015. Foto: arigrafie.de ©
Die beiden Malerinnen. 2015.
Foto: arigrafie.de ©
Die Kuratorin. 2015.
Foto: arigrafie.de ©
Das Publikum lauscht. 2015.
Foto: arigrafie.de ©
Das Publikum lauscht noch immer. 2015.
Foto: arigrafie.de ©
Die Verantwortlichen. 2015.
Foto: Reinhardt Reimer ©
Ummahan mit den Projektfrauen. 2015.
Foto: Reinhardt Reimer ©
Hausherr Wolfram Schnelle, Auktionshaus LAURITZ.COM als Mundschenk. 2015. - Foto: arigrafie.de ©
Am Fischbuffet. 2015.
Foto: arigrafie.de ©
Hamide Scheer mit den Projektfrauen. 2015.
Foto: arigrafie.de ©
Katharina Moll räumt auf. 2015.
Foto: Hildegund Schuster ©
Cecilia Herrero und Günter Zint. 2015.
Foto: Elisabeth von Dücker ©
6. Aus der Nähe betrachtet
2015. Foto: Klaus Schlegel ©
2015. Foto: Klaus Schlegel ©
2015. Foto: Klaus Schlegel ©
2015. Foto: Klaus Schlegel ©
2015. Foto: Klaus Schlegel ©
2015. Foto: Klaus Schlegel ©
2015. Foto: Klaus Schlegel ©
2015. Foto: Klaus Schlegel ©
2015. Foto: Klaus Schlegel ©